Heißer als das Klima
Warum die Jugend auf die Straße geht
Für die Jugend ist es das bestimmende Thema unserer Zeit. Mehr denn je sind die Bekämpfung der Erderwärmung und der Naturschutz ein Kernanliegen der Bürger - und nicht nur der erwachsenen Bürger. In Belgien organisiert die Bewegung ‚Youth for Climate‘ jeden Donnerstag Schülerstreiks.
Von Sang-Sang Wu
Greta Thunberg. Ihr Name geht um die Welt, seit die 16-jährige Schwedin bei der UN-Klimakonferenz 2018 in Kattowitz eine eindringliche Rede gehalten hat. Ohne Umschweife forderte sie die Vertreter dazu auf, im Kampf gegen den Klimawandel Verantwortung zu übernehmen und endlich zu handeln. Innerhalb weniger Wochen ist Greta Thunberg zu einer Ikone geworden, nachdem sie im August 2018 den ersten Schülerstreik für das Klima organisiert hatte. Jeden Freitag protestiert sie friedlich vor dem schwedischen Parlament. Mit einem Schild, auf das sie „Skolstrejk För Klimatet“[1] geschrieben hat, fordert Greta die Abgeordneten auf, dem Übereinkommen von Paris zur Begrenzung der Treibhausgase Folge zu leisten.
Ein Hilfeschrei, der nicht nur in Schweden, sondern in der ganzen Welt von Tausenden anderen Schülern gehört wurde. In Belgien inspirierte Greta Thunberg die Initiatorinnen der Bewegung ‚Youth for Climate‘ Anuna De Wever und Kyra Gantois. Seit dem 10. Januar rufen diese beiden Fläminnen die belgischen Schüler dazu auf, jeden Donnerstag die Schule zu schwänzen und stattdessen auf den Straßen Brüssels zu demonstrieren, um auf Politiker Druck auszuüben. Bereits an der ersten Demonstration nahmen 3.000 Schüler teil. Die Rekordzahl wurde am 24. Januar mit 35.000 Schülern erreicht. Und die Bewegung wächst immer weiter: Auch in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich gehen junge Menschen auf die Straße. „Wir, die belgische Jugend, die Jugend dieses Planeten, sind heute hier, um denjenigen die Stirn zu bieten, die unsere Zukunft zerstören“, skandiert Anuna De Wever bei diesen Versammlungen.
Wer sind diese Demonstranten?
Die treibenden Kräfte der Bewegung ‚Youth for Climate‘ sind Jugendliche, die aus der gehobenen Mittelschicht kommen, engagiert und überdurchschnittlich gut informiert sind. „Diese Jugendlichen sind manchmal sensibilisierter und verantwortungsbewusster als ihre Eltern“, erklärt Marie Hayens von der Bürgerbewegung ‚Rise for Climate‘. „Es ist ein Widerstand, der nach bestem Wissen und Gewissen geleistet wird. Ihre Reden basieren auf handfesten Argumenten und enthalten eine Botschaft, an der es nichts zu rütteln gibt: Was nützt es, sich auf eine Zukunft vorzubereiten, wenn es eine solche Zukunft niemals geben wird?“, bemerkt der Präsident der ‚Coalition Climat‘[2] Nicolas Van Nuffel. „Die jungen Leute von heute sind nicht blauäugig: Sie werden in einer Welt aufwachsen, in der man nicht mehr mehrere Male pro Jahr das Flugzeug nimmt, um einen dreitägigen Citytrip zu machen.“
Eine Jugend mit Ideen, die aber der politischen Klasse eher misstrauisch gegenübersteht, da es dieser nicht gelungen ist, für das Problem Lösungen zu finden. „Die Menschen an der Macht zeigen schon viel zu lange kein Interesse an der Klimakrise. Aber wir werden sicherstellen, dass sich das ändert“, betont Greta Thunberg. „Die Politiker sagen uns, dass wir jetzt das gemacht haben, was wir tun mussten, und wir jetzt wieder in die Schulen zurückkehren sollen. Wir demonstrieren bereits zum siebten Mal, aber bis jetzt haben wir noch nicht gesehen, dass sich irgendetwas geändert hat“, kritisiert Anuna De Wever. Für sie hat Belgien gezeigt, dass das Land keinerlei Ambitionen hat, da es sich geweigert hat, eine breite Koalition aus Ländern zu unterstützen, die sich bei der letzten UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz für ehrgeizigere Klimapläne ausgesprochen haben.
Die Jugend als Vorbild
Die Bürgerinitiative, die Bemühungen zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf höchstens 2°C verlangt – wie im Pariser Übereinkommen vorgesehen – inspiriert ihrerseits andere Bewegungen. So wurde Ende Januar die Organisation ‚Génération Climat‘ ins Leben gerufen, die aus Sekundarstufenschülern und Studenten aus Brüssel und Wallonisch-Brabant besteht. Im niederländischsprachigen Teil Belgiens wiederum haben zwei Studenten aus Gent die Bewegung ‚Students for Climate‘ gegründet, der die Schülerinitiative als Vorbild diente. Auch die Mitglieder dieser Bewegung schließen sich jeden Donnerstag den Demonstrationen an.
In den Verbänden ist man sich einig: „Sie sind noch aktiver als wir, da sie jeden Donnerstag auf die Straße gehen. Und da das unter der Woche geschieht, bekommen die Institutionen die Demonstrationen direkt zu spüren“, meint Kim Lê Quang von der freiwilligen Bürgerinitiative ‚Rise for Climate‘, die in Belgien und Frankreich den am 27. Januar abgehaltenen Marsch für das Klima organisiert hatte. An diesem Marsch nahmen in Brüssel 70.000 Menschen teil, was deutlich zeigte, dass die Mobilisierung nach dem großen landesweiten Marsch, der am 2. Dezember 2018 unter der Schirmherrschaft von ‚Climate Express‘ und der ‚Coalition Climat‘ stattfand, nicht abgenommen hatte.
Dieser aufgebrachten Jugend, die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft unterstützt wird, wird viel Bewunderung entgegengebracht. „All dies ist für mich, der sich seit vierzig Jahren mit dem Klimawandel beschäftigt, sehr ermutigend. Noch nie wurde diesem Thema so viel Aufmerksam geschenkt, und das haben wir der Jugend zu verdanken“, bekräftigt Jean-Pascal Van Ypersele, ehemaliger Vizepräsident des IPCC[3] und Professor für Klimatologie an der Katholischen Universität Löwen. Die Jugendlichen können außerdem auf die Unterstützung des Kollektivs Scientists4climate zählen, das einen Brief veröffentlicht hat, der von 3.400 belgischen Wissenschaftlern unterzeichnet wurde. Darin weisen sie darauf hin, dass die derzeitigen politischen Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen. „Die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche ist bereits um etwa 1°C gestiegen (im Vergleich zur Durchschnittstemperatur zwischen 1850 und 1900).“[4]
Die Zeichen ihrer Zeit
Die Auswirkungen der Klimaerwärmung sind jedoch heute schon sichtbar und konkret: Hitzewellen, Brände, heftige Niederschläge mit Überschwemmungen als Folge, Gletscherschmelze, Verlust der Artenvielfalt, Klimamigration. Das sind zahlreiche Anzeichen, auf die die Wissenschaftler aufmerksam machen, denen jedoch kaum Beachtung geschenkt wird. Jean-Pascal Van Ypersele zeigt so viel Begeisterung, weil ihn die dynamische Jugend und die Eindeutigkeit ihrer Diagnose berühren. „Ein Bericht des IPCC verschwindet schnell in der Schublade. Aber einem jungen Menschen zu antworten, der einen Politiker fragt, was er unternommen hat, um die Bewohnbarkeit und die Ökosysteme der Erde zu bewahren, ist eine Aufforderung, der man sich nicht so leicht entziehen kann.“ „Es ist wirklich unglaublich, mit welcher Dynamik und Effizienz sie die Botschaft in die ganze Welt tragen“, bemerkt Kim Lê Quang. Im Übrigen hat Félicien Bogaerts[5] im Vorfeld des Marsches vom 2. Dezember ein virales Video produziert, das dazu beigetragen hat, die Veranstaltung bekanntzumachen. Das Video mit dem Titel „J’peux pas, j’ai climat“, an dem auch eine Reihe belgischer Stars mitwirken, wurde bereits 1,9 Millionen Mal aufgerufen. „Dadurch konnte die Bewegung noch mehr Menschen erreichen. Ohne dieses Video wären wir unter uns geblieben“, meint Marie Hayens.
Auch wenn diese Dynamik bei vielen Erwachsenen Bewunderung hervorruft, stehen doch so manche der Angemessenheit der Bewegung offen skeptisch gegenüber: „Eure Slogans sind auch politischer Natur. Die Botschaft ,Es gibt keinen Planeten B' wurde von Emmanuel Macron vor den US-Kongress getragen. Eure Inspirationsquelle, die Schwedin Greta Thunberg, ist eine Aktivistin, keine Wissenschaftlerin“[6]. „Es handelt sich hierbei um eine Strategie, um liebgewonnene Gewohnheiten beizubehalten, die sich durch Trägheit auszeichnen und denen so schnell wie möglich ein Ende gesetzt werden sollte. Es muss sehr unangenehm für sie sein, von Jugendlichen mit ihren Widersprüchen und ihrer Untätigkeit konfrontiert zu werden“, sagt Jean-Pascal Van Ypersele zu ihrer Verteidigung.
Forderungen und Strategien
Die Jugendlichen werden von so manchen politischen Verantwortungsträgern beweihräuchert, doch sind sie nicht naiv. Mit ihren Protesten setzen sie die Umweltfrage auf die politische Agenda, doch wissen sie, dass die Politiker dieses Anliegen nur in ihr Programm aufnehmen, weil ihnen nichts mehr anderes übrigbleibt. „Wir wollen eine andere Zukunft. Wir sind mutig genug, um uns diesem Problem zu stellen. Ihr solltet das auch tun“, fordert Anuna De Wever. Aber besteht ein wirklicher Wille, um zur Lösung dieser Notfallsituation, die wir derzeit erleben, radikale Maßnahmen zu ergreifen? Neben der Mobilisierung und den Slogans geht es jetzt darum, die grundlegenden Fragen anzusprechen und über Forderungen und Strategien zu reden. „Wir organisieren uns jeden Tag, um Alternativen für die alte Welt zu ersinnen, und wir entwickeln innovative und vielfältige Handlungsinstrumente, die dazu beitragen sollen, das Leben auf der Erde zu bewahren, anstatt es zu zerstören“[7]. Greta Thunberg sagt nichts anderes, wenn sie betont: „Wir sind nicht nur dabei, die Welt zu verändern, wir sind dabei, sie zu retten“.
Quellen
[1] „Schulstreik für das Klima“
[2] Diese Koalition umfasst 70 zivilgesellschaftliche Organisationen (NRO, Jugendbewegungen usw.)
[3] Intergovernmental Panel on Climate Change (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen)
[4] https://www.moustique.be/22957/climat-qu-y-t-il-dans-la-lettre-des-3400-scientifiques-adressee-aux-politiques
[5] Moderator und Gründer von Biais Vert, „einem neuen, zu 100 % unabhängigen Medienportal, das das aktuelle Geschehen durch das Prisma der Ökologie betrachtet“
[6] Carte blanche vom 18.01.2019, Ludovic Delory, Chefredakteur von Contrepoints, einem liberalen Online-Magazin (LaLibre.be)
[7] Carte blanche vom 31.01.2019, ‚Génération Climat‘ (Levif.be)