Ausgesprochen … gesellig
Es wird alles zu Strom

Künstler*innen und Tänzer*innen auf einer Bühne
Konzerte benötigen viel Strom – kann er auch nachhaltig produziert werden? | Foto (Detail): Evgeny Gavrilov; © mauritius images /Alamy

Noch ist es abstrakt für die Menschen: Das Thema Energie. Doch der Wandel steht unmittelbar bevor. Maximilian Buddenbohm hat erste Beobachtungen notiert.

Von Maximilian Buddenbohm

Wir werden über Energie reden. Nicht nur hier, nein, überall, und wir alle. Wir werden so über Energie reden, wie wir noch nie über Energie geredet haben, so viel scheint klar zu sein. Das nächste große Thema neben Corona und Krieg und Klima ist für den Winter gesetzt. Energie wird so teuer wie nie werden, bald schon, jetzt schon. Wir werden, so heißt es übereinstimmend in vielen Medien, so sagen es die Menschen mit Sachverstand, Wohlstand verlieren. Sie und ich, das Land, wir alle. Mahnungen in den Medien, wehe, wehe, Kassandrarufe auf Titelseiten. 

Es wird nur langsam greifbar, was das genau heißt. Es fängt mit Diskussionen über Raumtemperaturen an, wie finden wir 19 Grad. Darüber kann man schon erstaunlich lange reden, mit historischen Exkursen und natürlich auch mit vielen persönlichen Besonderheiten. Man redet bei drückender Sommerhitze im Großraumbüro über demnächst zu bestellende Thermounterwäsche, man liest zuhause Nebenkostenabrechnungen nach und mutmaßt, was wie und wo einzusparen sein könnte, und man ist dabei noch im gnädigen Konjunktiv. Bald aber nicht mehr.

Zu sehen ist noch nichts

Man geht durch die Stadt, es sind schon wieder 33 Grad in diesem staubtrockenen, außerordentlichen Dürresommer. Man denkt über die kaum beheizte Zukunft nach und schwitzt dabei wie blöd. Bald aber nicht mehr.

Ich gehe auch durch die Stadt. Ich überlege hin und her, wie das Thema für mich greifbarer werden könnte. Dieses Thema, das erst noch richtig ankommen muss, Krise werden muss, Handlungen zur Folge haben muss. Zu sehen ist davon nämlich nichts. Auch wenn ich in der Zeitung lese, das erste Kaufhäuser die Rolltreppen oder Teile der Außenbeleuchtung schon abgeschaltet haben, dass irgendwo Saunen nicht mehr betrieben werden und Pools nicht mehr beheizt werden, dass manche Räume jetzt weniger gekühlt werden – das sind für mich nur Meldungen, das sehe oder erlebe ich alles noch nicht.

Ich gehe auf ein kleines Musikfestival. Das wird mit besonderem Ehrgeiz veranstaltet, hier soll alles nachhaltig sein. Die Energie für die Bühnen wird selbst und vor Ort erzeugt, das Essen kommt natürlich aus der Region, es gibt kein Plastikgeschirr, die Anreise wird per Fahrrad oder U-Bahn empfohlen, es gibt Komposttoiletten und dergleichen mehr.

Erklärende Tafeln

Ich bin früh da, es ist noch leer. Ich gehe kreuz und quer durch den Park, in dem das Festival veranstaltet wird, ich sehe mich um. Ich sehe das, was ich immer sehe, wenn etwas veranstaltet wird, bei dem es um Nachhaltigkeit geht, ich sehe erklärende Tafeln. Man kann darauf wetten, dass es irgendwer immer für eine gute Idee halten wird, erklärende Tafeln aufzustellen, wenn es um Ökologie, Ressourcenverbrauch, Energiesparen et cetera geht, es ist wohl unabwendbar. Auf den Tafeln steht, dass man Wäsche doch auch mal auf der Leine trocknen lassen könnte und dass man mal in die Natur gehen sollte, um ein Bewusstsein für sie zu bekommen. Solche Tafeln verstimmen mich schnell. Wer muss denn so etwas noch lesen? Wartet im Ernst noch jemand auf diese Informationen? Steht jemand davor und sagt, von neuer Erkenntnis ergriffen: „Mensch, ja! Wäscheleinen! Das probiere ich mal.“ Ich glaube das eher nicht.

Menschen auf Rädern

Weiter hinten wird es viel interessanter, da sitzen vier Menschen auf Rädern und treten aus Leibeskräften in die Pedale. Die Räder sind aufgebockt und kommen nicht vorwärts, diese Räder dienen der Stromerzeugung. Für eine kleine Bühne direkt daneben. Mit diesen vier Rädern, so lerne ich da im Vorbeigehen, kann man genug Energie erzeugen, um eine doch einigermaßen große Festival-Wiese erfolgreich zu beschallen, das finde ich beeindruckend. Je basslastiger die Musik, je heller und greller die Lightshow, desto größer wird der Widerstand beim Treten, steht da auf einer Erklärtafel, die ich endlich einmal ansprechend finde. Die vier sportlichen Gäste auf den Rädern haben jedenfalls Spaß an der alternativen Energie, das sieht man. Ab und zu steigt einer ab, und sofort findet sich eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger, da macht man gerne mit. Es gibt dabei auch nichts zu erklären, man muss nur aufsteigen und treten, das können alle, das ist niedrigschwellige Stromerzeugung. Auch Kinder, auch alte Menschen können das, sogar sehr alte Menschen, wie ich zwischendurch sehen kann. Eine Mutter hat beim Treten ihr Kleinkind vor sich auf dem Lenker, ein Mann fährt so verbissen, als ginge es um die Tour de France, und einer tritt betont lässig und erklärt dabei wortreich seinem Kind, was da gerade passiert, sogar mit erhobenem Zeigefinger. Es wird hier alles zu Strom, zu Musik, zu Sound und zu Licht.

Ich habe keine Ahnung von Technik, ich hätte nicht gewusst, ob man hier vier Fahrräder braucht oder mehr oder weniger, ich finde das faszinierend. Vier Menschen, vier Tretantriebe, und so dermaßen viel Lärm und Beleuchtung. Konzertlärm eben, da gibt es nichts. Um einen leise klagenden Singer-/Songwriter mit Strom zu versorgen, würden sicher auch zwei Räder oder vielleicht eines nur reichen. Ich stelle mir eine riesige Radgruppe hinter einer großen Bühne vor, Hunderte von solchen Rädern mit durchtrainierten Menschen darauf, und vorne spielt Rammstein. Okay, vielleicht etwas leiser als sonst. Ob das wohl gehen würde?

Ein Solarpanel

Es gibt auch noch eine größere Bühne, die ist solarbetrieben. Das Solarpanel steht schräggestellt direkt daneben und ist etwa so groß wie eine Außenwand eines durchschnittlichen Einfamilienhauses. Mehr Fläche wird da nicht gebraucht und die Sonne scheint freundlicherweise heute wie bestellt, da kann auch die große Bühne erfolgreich bespielt werden, noch wesentlich lauter sogar als die kleine. So wenig reicht also für so etwas, denke ich so fachmännisch, wie ich eben denken kann, ohne mich jemals auch nur ansatzweise mit Stromerzeugung befasst zu haben. Für Menschen wie mich, die überhaupt keine Ahnung haben, ist das hier nützlich, es wird doch einiges vorstellbarer. 

Mit so einer nicht eben riesigen Wand kann man also … man hat sofort tausend Ideen, was noch alles gehen könnte. Die ganze Stadt kann man im Geiste durchgehen und überall solche Wände einsetzen. Man steht aber auch gleich vor der Frage, wieso denn bloß nicht längst und überall solche Wände verwendet werden. 

Konstruktiv werden

Ich will nicht politisch werden. Aber konstruktiv, das könnte man schon werden, wenn man solche Beispiele sieht, es wirkt tatsächlich etwas mitreißend. Guck mal, was alles geht! Das ist vielleicht sogar ein Gedanke, der im Moment in der allgemeinen Diskussion ein klein wenig zu kurz kommt. Man hört eher die Mahnungen und Warnungen und Fragen, was ist denn, wenn die Sonne nicht scheint, was ist denn mit dem Speichern der Energie, was ist mit den notwendigen Genehmigungen. Und Tretantrieb – also bitte. Wir müssen doch ernst bleiben. Okay.

Auf dem Rückweg nach Hause sehe ich in der U-Bahn aufs Handy. In meiner Timeline wird gerade ein Filmchen geteilt, in dem eine seltsame Waschmaschine vorgestellt wird. Sie sieht nicht aus wie eine Waschmaschine, sie sieht eher aus wie ein hippes Sportgerät. Es ist tatsächlich eine Waschmaschine mit Tretantrieb, was für ein absurder Zufall ist das denn. Wenn ich mir so eine Maschine bestellen würde, vielleicht hätten sogar meine Söhne auf einmal Lust, bei uns freiwillig die Wäsche zu machen.

Nicht nur konstruktiv werden, auch konstruktiv bleiben. Das wird wohl die Hauptleistung in den nächsten Monaten sein müssen.
 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Susi Bumms, Sineb El Masrar und Şeyda Kurt. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen. 

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