Ausgesprochen … gesellig
1,5 Grad Abstand
Es war wieder Klimademo. Maximilian Buddenbohm war dabei und hat vieles beobachtet – von den Pappschildern bis zur Stimmung.
Von Maximilian Buddenbohm
Die Krisen gehen weiterhin wild durcheinander. Beim Thema Energie spielen der Krieg und das Klima eine Rolle, Corona gibt es allerdings auch noch, wie hängt das alles zusammen, es ist überaus kompliziert und es wird immer verstrickter. Bei der großen Klimademo von Fridays for Future in Hamburg verspricht sich eine der Veranstalterinnen, als sie die Anwesenden, etwa 17.000 Menschen stehen da gerade vor ihr, auffordern will, sich wegen der Pandemie möglichst etwas Raum zu lassen: „Bitte haltet 1,5 Grad Abstand voneinander“, sagt sie versehentlich. Freundliches Gelächter und Applaus, das war ein eher schöner Versprecher: Wir remixen die Krisen, die Forderungen und die Lösungen, so fühlt es sich an.
Viele Berufsgruppen
Früher, also vor ein paar Jahren noch, war der große, weltweite Klimastreik eine Schülerdemo. Von Vorschule bis Gymnasium, das Durchschnittsalter der Teilnehmenden war gering. Das hat sich gründlich geändert, heute sieht man viele Schilder von Berufsgruppen in den Protestzügen. Teachers for Future, Scientists for Future, Doctors for Future, Students for Future und immer so weiter. Auf dem Rücken des alten Mannes neben mir steht: Opa for Future. Ich hätte mir auch ein Schild malen sollen, denke ich, die selbstgemalten bunten Schilder gehören doch immer noch zum Markenkern dieser Demos, es gibt hier so dermaßen viele davon. „Kolumnisten fürs Klima“, das hätte ich darauf schreiben sollen. Na, wenigstens bin ich da, das muss erst einmal reichen.Die Schilder um mich herum sind oft witzig, einige sind auch rührend unlesbar, von sehr jungen Menschen verfasst, die beim letzten Buchstaben erkennbar keine Lust mehr hatten, man sieht das deutlich. „Keine Erde, keine Kekse“ steht auf einem Schild, also wenn das nicht schlüssig und überzeugend ist? „Laubbläser abschaffen“, das fordert eine Frau auf ihrer Pappe und es ist nur eine Einzelmeinung, aber ihr werden auffallend viele Daumen im Vorbeigehen entgegengereckt, darauf hätten auch andere kommen können. Gegen Laubbläser zu sein, auch das kann verbinden. Es ist vielleicht sogar mehrheitsfähig, nur Menschen mit Laubbläsern sind für Laubbläser.
„Wende!“
Sechs Menschen sitzen im Kreis auf der Erde und bemalen, bevor die Demo losgeht, noch schnell eine große Papptafel. Die Abstimmung zwischen ihnen scheint schwierig, es wird wild diskutiert und ich kann nicht erkennen, dass da etwas Sinnvolles entsteht. Der Wille ist da, aber eben sechsfach, da fangen die Probleme schon an. „Ach, das wird schon“, sagt eine beruhigend, „das wird schon.“ Der junge Mann neben ihr rollt die Augen und schüttelt den Kopf.Viele fordern auf ihren Papptafeln eine Wende, alles muss bald anders werden. Eine Energiewende wird verlangt, eine Bauwende, eine Konsumwende, eine Politikwende, eine Verkehrswende auch, ich habe irgendwann aufgehört, mir das zu notieren. Die Endung -wende passt einfach hinter alles.
Positive Stimmung
Die Grundstimmung ist positiv, das jedenfalls fällt auf. Es geht hier nicht darum, was man mit dem politischen Gegner anstellen könnte, wenn man ihn erst besiegt haben wird, so etwas sehe ich nicht. Es soll niemand ins Gefängnis, es soll niemand an den Galgen, es soll niemand ins Exil geschickt werden, es geht nicht um Rache. Es ist, und das ist ein deutlicher Unterschied zu gewissen anderen Demonstrationen, keine Veranstaltung des Hasses. Das ist vielleicht die wichtigste Zusatzinformation, die man noch geben kann, wo doch vieles über den Klimastreik schon in den Medien wiedergegeben wurde. Die Teilnehmerzahlen, die Hauptforderungen, die Veranstaltungsorte, das weiß man sicher alles, darüber schrieben und sprachen alle. Aber, falls Sie nicht dagewesen sind, falls Sie auch beim nächsten Mal leider verhindert sein werden – es sind verlässlich eher nette, freundliche Demos. Ich halte das für wichtig.Andererseits hält ein kleines Mädchen in rosafarbener Kleidung entschlossen guckend ein Schild hoch: „Ballettstreik fürs Klima.“ So ernst ist es bei aller Freundlichkeit und Nettigkeit nämlich doch, und es wäre falsch, darüber zu lächeln. Nie die Anliegen von Kindern unterschätzen, das kennt man aus der Erziehung.
Kurze Sperrung
Der Weg zur Demo ist für viele kurz versperrt, was zu einer erstaunlichen Bandbreite an Reaktionen führt. Es sind etliche Ordnerinnen und Ordner, die mit rotweißem Flatterband einige Fußwege und Straßen absperren, damit die zahllosen Ankommenden bitte andere Wege nehmen, damit der riesige Zug sich halbwegs gleichmäßig aufbaut, es ist ein schnell nachvollziehbares Vorgehen. Nicht hier lang, bitte dort entlang. Die Ordner winken freundlich, sie zeigen Wege, sie weisen lächelnd ab und rufen immer wieder: „Da entlang! Da entlang!“Fast alle, die da zur Demo strömen, folgen dem wortlos. Ohne viel nachzudenken, ohne Einwände und Beschwerden. Sie gehen schnell noch einen Block weiter, weil sie darum gebeten werden, was ist schon dabei, und die Sache regelt sich also wie von selbst. Bei beliebigen anderen großen Veranstaltungen, auch bei solchen mit politisch anderer Ausrichtung, wäre es sicher ähnlich.
„Da jetzt durch!“
Einer aber, der kommt schon wütend da an, an diesem rotweißen Flatterband, das ihn zu alarmieren und seltsam zu triggern scheint: „Ich muss da durch!“ Betont unfreundlich ruft er das, herrisch, fordernd und lauernd, was die da wohl gegen ihn machen wollen, diese spinnerten jungen Leute? Stehen da einfach im Weg herum? Geht’s noch? Eine Ordnerin erklärte ihm die Lage, freundlich und bemüht. Der Mann, jetzt schon rot im Gesicht und immer lauter werdend, damit es auch die Umstehenden mitbekommen können, wie sehr er sich aufregt, damit es auch die Polizei da hinten hört, der er dabei schon einmal hektisch winkt: „Ich muss da durch! Jetzt!“ Die Ordnerin erklärt weiter. Der Mann, versuchsweise gegen das Band anrennend: „Und wenn ich da einfach durchgehe? Was dann? Na? Was macht ihr denn dann? Na?“ Die Ordnerin, die das Band einfach sinken lässt, so dass er darüber treten kann: „Na, dann gehen Sie da eben durch.“ Die Verblüffung in seinem Gesicht. Die Enttäuschung vielleicht auch, so ein schöner Streit, so ein toller Grund, sich einmal richtig aufzuregen, irgendwas zu gewinnen, es irgendwem zu zeigen, und dann verpufft das alles auf einmal, mit nur einer Bewegung.Eine Frau, die auf das Band zugeht und freundlich fragt: „Kann ich hier bitte einmal durch? Ausnahmsweise?“ Natürlich kann sie das, es ist gar kein Problem. Ein Austausch von zwei Sekunden, dann ist sie durch und weg.
Ein anderer Mann, der grinsend vor dem Band stehenbleibt: „Mit welcher Ausrede komme ich denn hier durch?“ Der Ordner, der gutgelaunt sagt: „Na los, lass dir irgendwas einfallen. Mit einer guten Ausrede geht bei mir alles.“
Flyer und andere Zettel
Auf der Demo werden viele Zettel verteilt. Flyer mit politischen Inhalten, mit Beschreibungen von Initiativen und Gruppierungen, mit Hinweisen auf politische Aktionen, Parteien, Programme und so weiter. Ich war noch nie auf einer Demo, auf der so dermaßen viele Flyer verteilt wurden, eine wahre Informationsflut. Überall Papierstapel, die herumgetragen werden. Zwei Flyerverteiler gehen aufeinander zu und halten sich gegenseitig ihre Zettel hin, winken dann beide ab: Nein danke, wir wollen nichts lesen, wir wollen nur verteilen.Ein älterer Mann, älter noch als ich, nimmt einem jungen Mann einen Flyer ab und liest, was dort steht. Er hat ein AKW-Nee-T-Shirt an, das vielleicht noch aus den Anfängen der Bewegung stammt, ein wahres Museumsstück, es ist brüchig, alt und vergilbt. Er hat Buttons an seiner Jacke, viele sogar, er ist reich dekoriert. Gegen Atomkraft sind die Buttons, gegen den Krieg, gegen Aufrüstung, gegen Konzerne, gegen Handelsabkommen, gegen Endlagerstätten, gegen alles, wogegen man in den letzten Jahrzehnten sein konnte. Er ist ein Veteran der Demonstrationskultur, mit Blech behängt wie ein General. Er lässt den Flyerverteiler auch nicht weiterziehen, er diskutiert sofort mit ihm über das, was er da liest. Der Flyerverteiler sieht sich um, wie er entkommen könnte.
Ein Pappschild schwenken wie die Großen
Ein kleines Kind in der Menge, ein Junge. Er hatte wohl kein Schild dabei, obwohl es hier doch offensichtlich darum geht, ein Pappschild zu schwenken, wie auch er unschwer erkennt, das machen so viele um ihn herum. All die Großen machen das, seine Eltern machen das, da will er selbstverständlich auch mitmachen. Kinder sind oft kooperationswillig, so lernen sie. Was macht er also? Er nimmt sich einfach einen leeren Pizzakarton und hält ihn hoch. Es ist nur ein gewöhnlicher Karton vom Straßenrand, er ist nicht für diesen Anlass beschriftet worden, es steht nur der Name eines Pizzadienstes darauf. Er kommt auch von keiner besonders umweltbewussten Firma, er ist im Grunde einfach Müll. Er war es zumindest bis eben gerade, denn ab jetzt ist er ja ein Schild, so wie es all die anderen Pappen hier auch sind.Und was wir da in diesem Moment sehen, das ist in zwanzig Jahren womöglich eine dieser Familiengeschichten, die man sich dann bei großen Feiern erzählt, vielleicht bei der Hochzeit dieses Jungen: Weißt du noch, wie er damals bei der Demo einfach den leeren Pizzakarton hochgehalten hat, und dann ist er damit die ganze Demo mitgelaufen, einmal durch die Stadt. Und jemand, der damals dabei war, zeigt dann noch ein Foto davon.
Das sind dann die Geschichten, die es vielleicht durch all diese Krisen schaffen werden: Pizza for Future. Warum auch nicht.
„Ausgesprochen …“
In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Susi Bumms, Sineb El Masrar und Şeyda Kurt. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen.