Ethischer Konsum
Nachrichten von der Front

Nachrichten von der Front
© Goethe-Institut Italien | Illustration: Caterina Laneri

Vor einiger Zeit habe ich mich an einem Freitagabend mit zwei netten Menschen unterhalten. Mit Federica Tessari, leitender Redakteurin bei „Scomodo“ und einer echten Auskennerin in Bezug auf Zivilrechtssachen und soziale Themen, und Stefano Liberti, Journalist und Schriftsteller mit Spezialisierung auf die Themen Umwelt und Lebensmittelversorgung (und zwar einer richtigen Spezial-Spezialisierung, so dass der nächste Level Allwissenheit bedeuten würde). Und ich saß da, wie ein armer Wicht, zwischen den beiden und versuchte, einige der vielen Fragen zu klären, die mir nicht aus dem Kopf gingen. Statt Antworten zu finden, hatte ich am Ende mehr Fragen als zuvor, aber ich glaube, das ist genau das Schöne an solchen Gesprächen. Hier möchte ich euch ein wenig davon erzählen, was wir so besprochen haben.

Von Gabriele Magro

Ethischer Konsum?

Konsument*innen haben wenig Möglichkeiten, ethisch zu kaufen. 75 Prozent der Einkäufe in Italien werden im Supermarkt getätigt. Die Lieferkette ist sehr undurchsichtig.“

Stefano Liberti

Sowohl Federica als auch Stefano kaufen regional, dennoch stimmen sie mit mir überein, dass ethischer Konsum in einer Gesellschaft mit unserem Produktionssystem eine Herkulesaufgabe, ja beinahe eine Utopie darstellt. Also gibt es diesen ethischen Konsum nun oder nicht? Wie bei allen Dingen, die wir seit vielen Jahren suchen, aber bis heute nicht gefunden haben, kann es sein, dass es ihn nicht gibt und er nur eine Legende ist (wie der Yeti oder der Chupacabra). Gleichzeitig ist es nicht in Ordnung, diesen Umstand als Ausrede zu verwenden. „Die Nachfrage nach Informationen zu ethischem Konsum steigt“, meint Stefano, der darüber auch ein Buch geschrieben hat (es trägt den Titel Il grande carrello und ist bei Laterza erschienen). Aber Bio plus Bewusstsein sind noch kein ethischer Konsum (um es frei nach Giovanni Lindo Ferretti zu sagen, der wiederum frei nach Lenin zitiert). Bleiben zwei Kämpfe, die wir zu führen haben: einen im Zusammenhang mit der Kaufkraft (ethisch bedeutet teuer, das ist schließlich kein Geheimnis) und einen Kulturkampf.
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Erklär das mal meiner Oma

Eine bereits sensibilisierte Minderheit spricht seine Sprache, kennt seine Codes – und verwendet sie innerhalb dieser Minderheit. Wenn wir versuchen, den Kreis zu erweitern, wird es mühsam: Die Themen werden in Form von Slogans trivialisiert und es ist schwierig, Desinteressierte zu bekehren.“

Federica Tessari

Ich sage es offen: Wenn ich ein bisschen mehr Geld in der Tasche hätte, wäre ich bereit, Fleisch durch pflanzliche Produkte zu ersetzen. Probiert mal Veggie-Burger, ich schwöre, die sind gut. Fakt ist, dass eine Packung mit zwei Stück, 160 Gramm, drei Euro kostet. Ich verstehe, dass wir Fleisch dringend durch nachhaltigere Produkte ersetzen müssen, aber meine Oma tut das nicht. Erklär ihr mal, wieso ich zwei Burger aus gepresstem Gemüse gekauft habe, die vierzig Euro das Kilo kosten. Da haben wir ihn, unseren Kulturkampf: Er besteht darin, jenen Menschen diese Dringlichkeit zu vermitteln, die nicht immer die kulturellen Voraussetzungen mitbringen, um die Situation verstehen zu können, und die vom Fenster aus den Streikmärschen für die Umwelt zusehen. Federica ist Journalistin und in meinem Alter. Sie habe ich gefragt, wie uns ein konstruktiver Dialog mit den Boomern gelingen kann (sind wir denn wirklich besser als sie?).

Graustufen

Es ist nicht einfach, über Umwelt, Ethik, Bewusstsein zu sprechen. Es ist nicht gut, dafür eine rein wissenschaftliche Sprache zu verwenden, und auch nicht gut, die Themen nur oberflächlich zu behandeln. Dieser Komplexität gerecht zu werden, ohne dabei komplex zu werden, ist schwierig.“

Federica Tessari

Die Schwierigkeit der Kommunikation hat den Kampf für die Umwelt im Grunde zu einer Generationenfrage gemacht. Und das ist nicht gut, denn die GenZ ist von Natur aus eine zynische und in Bezug auf parlamentarische Politik desillusionierte Generation (was man ihr kaum verdenken kann). Es wäre wichtig, eine generationenübergreifende Plattform zu schaffen. Vor allem in Italien, wo die Bevölkerung rasch altert und die Älteren die gesamte Kaufkraft haben, aber gleichzeitig nicht mit der Welt der digitalen Information vertraut sind. Und das sollte schnell passieren, denn die Zeit drängt. Ich weiß, dass ich hier etwas extrem Banales sage, aber was soll ich machen, wenn es wahr ist. Und das gilt besonders für Italien, wo der Klimawandel verheerende Auswirkungen auf die Artenvielfalt, die Wirtschaft und den Agrarsektor hat (Achtung, da steht hat, nicht haben wird).
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Nachrichten von der Front

2019 bin ich für mein Buch ‚Terra Bruciata‘ durchs Land gereist. Am Anfang dachte ich, dass Italien von der Klimaerwärmung nicht so schlimm betroffen sei. Doch dann fand ich heraus, dass Italien das am stärksten gefährdete Land in Europa ist. Das Paradoxe ist, dass es unter den westeuropäischen Ländern zugleich jenes ist, in dem man am wenigsten über den Klimawandel spricht.“

Stefano Liberti

Was also tun? „Wir müssen parallel zu den Daten auch die menschliche Dimension der Klimakrise aufzeigen, von den betroffenen Menschen erzählen. Sonst wird es nicht gelingen, Eingang in die öffentliche Debatte zu finden“, meint Federica und das scheint mir ein besseres Schlusswort als ich es schreiben könnte, also klaue ich es von ihr.

Ich habe mit Federica und Stefano auch noch über eine ganze Reihe anderer Dinge gesprochen: Geopolitik, Klimaflüchtlinge (wusstest du, dass es im Jahr 2050 beim aktuellen Tempo bereits 300 Millionen sein werden und dass du einer von ihnen sein könntest? Stress!), die Emissionen in den Entwicklungsländern.

Doch wenn ich das alles in diesen Artikel gepackt hätte, wäre das eine Abhandlung geworden, die du niemals bis zum Ende gelesen hättest. Wenn du aber willst, kannst du das gesamte Gespräch (auf Italienisch) nachhören:
Für heute reicht das. Rufen wir uns zum Abschluss in Erinnerung, dass es in unserer Verantwortung liegt, wenn wir schon keine guten Konsumenten sein können, zumindest gute Korrespondenten von der Front zu sein. Und das ist schon mal nicht wenig.
 

Stefano Liberti

Stefano Liberti
Foto: © privat
Stefano Liberti ist Journalist und Schriftsteller mit Schwerpunkt auf den Themen Landwirtschaft und Lebensmittelversorgungsketten. Er schreibt für italienische und ausländische Medien, darunter für Internazionale, Repubblica, Le Monde diplomatique, Al Jazeera English, El país semanal. 2009 wurde er für sein Buch A sud di Lampedusa. Cinque anni di viaggi sulle rotte dei migranti (Minimum Fax, 2008) mit dem Indro-Montanelli-Preis ausgezeichnet. Sein Buch Land Grabbing. Come il mercato delle terre crea il nuovo colonialismo (Minimum Fax, 2011) ist in zehn Ländern erschienen (Dt.: Landraub. Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus, Rotbuch, 2012). Seine jüngsten Bücher sind I signori del cibo. Viaggio nell’industria alimentare che sta distruggendo il pianeta (Minimum Fax, 2016), in dem er den globalen Lieferketten von vier Lebensmitteln nachspürt, und Il grande carrello. Chi decide cosa mangiamo (Laterza, 2019, mit Fabio Ciconte), in dem er der Funktionsweise des organisierten Großhandels auf den Grund geht. Im September 2020 erschien zudem Terra bruciata. Come la crisi ambientale sta cambiando l’Italia e la nostra vita (Rizzoli), eine erste Feldstudie zu den Auswirkungen des Klimawandels in Italien. Darüber hinaus war Liberti als Regisseur für Rai 3 tätig und hat bereits mehrere Dokumentarfilme gedreht, darunter L’inferno dei bimbi stregoni (2010), Mare chiuso (2012, mit Andrea Segre), Container 158 (2013, mit Enrico Parenti), Herat Football Club (2017, mit Mario Poeta), Soyalism (2018, mit Enrico Parenti).
 

Federica Tessari

Federica Tessari
Foto: © privat
Federica Tessari studiert Internationale Zusammenarbeit an der Universität Turin. Nach ihrem Studienabschluss in Politikwissenschaften beschloss sie, sich sowohl akademisch als auch persönlich eingehender mit den am stärksten benachteiligten Gebieten der Welt zu beschäftigen. Durch ihre Auseinandersetzung mit Indien und der Lage auf der griechischen Insel Samos entwickelte sie ein kritisches Verständnis für die Thematik und fand ihre Stimme als Journalistin. Tessari lernte Scomodo während ihrer Tätigkeit bei Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Rom kennen und als die Zeitschrift eine Redaktion in Turin eröffnete, stand ihre Entscheidung schnell fest. Heute ist sie bei Scomodo als eine der leitenden Redakteurinnen auf nationaler Ebene insbesondere für die Rubrik Il Plus verantwortlich (in der Themen fachübergreifend und multidisziplinär vertieft werden). Tessari entwickelte und erstellte die erste Fotoreportage von Scomodo: Senza stringhe. Ihre persönlichen Interessensschwerpunkte sind zivilrechtliche Fragen, Konflikte und politisch-soziale Themen.

 

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