„Superheld wird man nicht einfach so, das muss man trainieren“. Und dazu braucht man „Mut, Entschlossenheit und Köpfchen“. Das ist die Essenz dieser heiter-verschmitzten Vater-Sohn-Geschichte. Zehn Mutproben für angehende Superhelden sind in zehn kurze Kapitel gefasst. Die Sätze sind kompakt, die Sprache einfach gehalten, mit vielen Dialogen. Und doch werden Lese- oder Sprachanfänger belohnt mit überraschenden Wendungen und viel Hintersinn. Denn Moritz und sein Papa verstehen es nicht nur, sich den Sommer zu Hause in der Stadt aufregend zu gestalten. Die beiden sympathischen Helden sind auch durchaus fähig zu Selbstironie und brechen dabei mit gängigen Klischees. Ein rasanter Lesespaß mit Anleihen aus dem Märchen – und am Ende wird alles gut.
Der schmale Band bietet sich an für Gruppenarbeit, denn sobald die Rahmenhandlung klar ist (Papa und Moritz können keinen Urlaub machen), lassen sich die Mutproben-Kapitel auch separat lesen und szenisch oder bildkünstlerisch umsetzen. Die Lesenden können sich weitere Mutproben ausdenken und auch Sprachdetektive kommen auf ihre Kosten: Warum etwa wird die grantige Nachbarin Frau Hammerschmidt von allen Jammerschmidt genannt?
Wir sind Superhelden. Fast.
Silke Wolfrum (Text) / Marie Geissler (Illustration)
München: Tulipan, 2020
Der Vater des jungen Ich-Erzählers lebt in der Ferne und kommt nur einmal im Jahr nach Hause. Er ist ein echter Pirat, mit Geschichten vom Meer im Gepäck. Er erzählt von Schätzen, von Mitgliedern seiner Mannschaft mit so seltsamen Namen wie „il Tatuato“/der Tätowierte, „Salsiccia“/Salami und „Libeccio“/Schirokko und einem Schiff namens „Speranza“/Hoffnung. Doch das echte Leben durchbricht dieses Szenario, als der Protagonist die Mutter plötzlich nach Belgien begleiten muss, wo er den Vater halb tot in einem Krankenhausbett vorfindet. Da begreift er, dass der Vater ihn die ganze Zeit angelogen hat. In Wirklichkeit ist er ein Bergarbeiter; ein schwerer Unfall hat das Bergwerk zum Einsturz gebracht. Seine Mannschaft ist schlicht eine Gruppe italienischer Emigranten, die in der Mine arbeiten wie er, und die Hoffnung ist das, was alle in ihrem Herzen tragen: eines Tages nach Hause zurückzukehren. So ist der Junge mit einem ihm gänzlich unbekannten Vater konfrontiert und erst Jahre später, als das Bergwerk geschlossen wird, wird er die Lügen des Vaters nachvollziehen und akzeptieren können.
Wer mit den historischen Fakten vertraut ist, für den wird im Text das Grubenunglück von Marcinelle nachhallen, wo am 8. August 1956 ein Kohlebergwerk einstürzte und über 200 Bergarbeiter lebend unter sich begrub, die Hälfte davon Italiener. Das Bilderbuch aber beschreibt auf Bild- und Textebene die Vater-Sohn-Beziehung mit ihren phantastischen Zügen und der Bewunderung des Sohnes für den Vater. Die Jury für den Deutschen Jugendliteraturpreis lobte: „Dieses Buch überzeugt durch das künstlerische Zusammenspiel von Text, Typografie und Bildern“. Die Lektüre lohnt für jedes Alter.
Deutsche Übersetzung von Edmund Jacobi: Mein Vater, der Pirat.
Berlin: Verlagshaus Jacobi & Stuart, 2014
Preise
1. Preis Cento 2014; Preis Orbil 2014; Preis Laura Orvieto 2013-2015; Nominierung des Preises Scelte di Classe 2014; Nominierung des Preises Les Incorruptibles 2015; Empfehlungsliste des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises (April 2015); Nominierung des Deutschen Jugendliteraturpreis 2015 in der Sparte Kinderbuch. DIE BESTEN 7 - Bücher für junge Leser (November 2014)