Regie: Valeska Grisebach, Deutschland 2015-2017, 121 Min.
Mit Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek, Syuleyman Alilov Letifov, Veneta Frangova, Vyara Borisova
Zunächst bleiben sie unter sich: eine kleine Gruppe von deutschen Arbeitern, die in einer abgelegenen, bergigen Gegend Bulgariens mit dem Bau eines Wasserkraftwerks beginnen. Zu den Bewohnern eines nahen Dorfs haben sie zunächst keinerlei Kontakt. Sie verstehen die Sprache nicht, errichten ihr eigenes kleines Quartier in der Nähe des aufzustauenden Flusses, arbeiten ohne einheimische Kollegen und verbringen Abende am Lagerfeuer. Kurz und lakonisch erklärt Meinhard: „Ich bin hier, um Geld zu verdienen!“ Im Western-Genre, auf das Valeska Grisebach immer wieder anspielt, hätte man die Arbeiter aus Deutschland als Gruppe von „tough guys“ bezeichnet. Von Meinhard heisst es, er habe als Legionär in Afrika und Afghanistan gekämpft. Nur einer von ihnen, Boris, der aus Russland stammt, könnte sich wohl mit den Einheimischen verständigen – aber der ist daran nicht interessiert. Dass die deutschen Arbeiter, die miteinander so gut wie keine privaten Gespräche führen, nicht so hart sind, wie sie vorgeben, zeigt schon eine eher naive Frage an Boris; er soll erklären, wie man hier ein Mädchen „nett anspricht“. Später wird Meinhard ein privates Gespräch belauschen, das sein Kollege Vincent am Mobiltelefon mit seiner Lebensgefährtin in Deutschland führt. Bei aller Coolness bleibt die Sehnsucht nach einem anderen Leben.
In ihrem Mikrokosmos versuchen sich die Arbeiter einzurichten, als wären sie zu Hause. Am Rand einer kleinen Terrasse vor ihren Unterkünften hissen sie eine deutsche Fahne, die später geklaut wird; sie pflücken Obst aus den Bäumen, als wären es die ihren – zum Missfallen der Einheimischen, das noch wächst, als Vincent am Fluss beim Baden eine junge Frau aus dem Ort zum Körperkontakt zwingt, damit sie ihren verlorenen Sonnenhut zurückbekommt. Meinhard zögert auch nicht, ein zwischen den Büschen weidendes Pferd zu besteigen und es von da an mehr oder minder als sein Eigentum zu betrachten. Dennoch wird er mit Adrian, dem Besitzer des Pferdes, Freundschaft schließen. Auch dies ein Western-Motiv: eine echte Männerfreundschaft, die hier auch über alle Sprachbarrieren hinweg funktioniert. Meinhard erklärt Adrian, dass er zu Hause keine Familie habe, sein Bruder sei gestorben. Der Bulgare antwortet spontan: er werde nun sein Bruder sein. Zwischen Meinhard und Vincent wächst die Rivalität, zumal bald auch eine Frau im Spiel ist, Vyara, der Meinhard sehr nahe kommt. Er ist auch strikt dagegen, dass man dem Dorf einfach das Wasser absperrt, das an der Baustelle benötigt wird. Ein einfacher „good guy“ ist er dennoch nicht. Als ihn ein junger Mann, dem er beim Kartenspiel eine hohe Summe abgenommen hat, inständig bittet, das Geld zurückzugeben, speist er ihn mit ein paar Scheinen ab und erklärt ihm, er möge sich verpissen. Nach vielen Komplikationen, bei denen schon mal ein Messer gezogen oder eine Flinte angelegt wird und die Fäuste fliegen, feiert das Dorf ein Fest, mit Musik und Tanz, Grill und Alkohol. Ein paar deutsche Arbeiter sind auch dabei. Die Bewohner des Dorfs tanzen noch in der späten Nacht. Meinhard tanzt mit.
„Aus der Idee, eine Gruppe deutscher Männer ins Ausland auf Montage auf unbekanntes Terrain zu versetzen, wo sie selber fremd und mit ihren Vorurteilen und ihrem Misstrauen konfrontiert sind, hatte ich den Zugang zu dem Thema und eine passende Ausgangssituation für eine Geschichte.“ (Valeska Grisebach). Das klingt nach einem realistischen Ansatz, zumal die Regisseurin alle Rollen mit Laien besetzt hat, die nahezu dokumentarisch echt wirken. Davon darf man sich nicht täuschen lassen:
Western bezieht seine Spannung aus der Mischung von konkretem Erzählen und Abstraktion – wie im klassischen Kino-Western. Auf einer realistischen Ebene hätte es den Konflikt um das Wasser für die Baustelle so nicht geben dürfen, man hätte Wasser aus dem Bergfluss verwenden können. Und die Isolation der deutschen Arbeiter hätte spätestens bei der Besorgung von Lebensmitteln durchbrochen werden müssen. Entscheidender für die Regisseurin: „Die Suche nach Unabhängigkeit und Freiheit, die die Helden im Western verkörpern, die Idee, alles hinter sich zu lassen oder wenigstens für Momente ungebunden und frei zu sein, habe ich als ein universelles, romantisches Motiv verstanden, das etwas über die Sehnsucht nach Erlebnis und der Bedeutung des eigenen Schicksals erzählt.“ Gleichzeitig überwindet Valeska Grisebach die Grenzen des alten Genres. Der Zwist der Rivalen Meinhard und Vincent führt am Ende eben nicht zum Duell. Der Showdown findet nicht statt.
Hans Günther Pflaum, 01.02.2018