Literatur im Film
Graue Wolken jagen übers Meer
Seit es das Kino gibt, werden Romane verfilmt. Drei sehr unterschiedliche Literaturverfilmungen feierten mit „Deutschstunde“, „Narziss und Goldmund“ sowie „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ kurz vor der Corona-Krise Premiere.
Literaturverfilmungen sind immer wieder eine Herausforderung. Gelingt es, den Bildern, die viele Leser*innen im Kopf haben, andere starke Visualisierungen entgegen zu setzen? Allzu oft bleibt es dabei, dass die äußerlichen Handlungsabläufe filmisch abgebildet werden. Je anspruchsvoller, raffinierter, anspielungsreicher die literarische Vorlage, desto größer ist dann auch die Gefahr des Scheiterns. Ein eklatantes Beispiel hierfür ist die mit großem Aufwand realisierte Verfilmung des Romans Narziss und Goldmund von Hermann Hesse. Das Buch aus dem Jahr 1930 erzählt in legendenhafter Sprache vom Leben zweier sehr gegensätzlicher Freunde, die sich in einem mittelalterlichen Kloster kennenlernen. Narziss (Sabin Tambrea) steht für den Kopfmenschen, den Intellektuellen, während Goldmund (Jannis Niewöhner) das pralle Leben, die Sinnlichkeit und das Fühlen und Handeln aus dem Bauch heraus verkörpert. Dementsprechend ist er es, der nach den gemeinsam verbrachten Jugendjahren das Kloster verlässt, um in die Welt hinauszugehen. Er wird Meisterschüler eines Bildhauers, hat zahlreiche Liebschaften und geht ganz auf im weltlichen Dasein. Narziss dagegen bleibt in der überschaubaren Welt des Klosters. Wer nun, wie der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky, der 2008 für Die Fälscher einen Oscar bekam, aus diesem – im Grunde von zwei Prinzipien und weniger von wahren Menschen handelnden – Roman eine bildersatte und üppig ausgestattete Mittelaltergeschichte im Stil von Der Name der Rose macht, muss zwangsläufig alles Betuliche und Leise des Stoffes aufpeppen. Natürlich gibt es reichlich Erotik, gleichzeitig werden aber die im Buch angedeuteten homoerotischen Momente der Männerfreundschaft heruntergespielt. Hermann Hesse wollte seine Bücher nicht verfilmt wissen, dieser Film hätte ihn in seiner Skepsis bestätigt. Ruzowitzkys pralle Kinobilder sind insgesamt zu schön, selbst da, wo sie schockierend hässlich sein wollen. Ob der Film aufgrund dieser visuellen Qualitäten ein größeres Publikum gefunden hätte, das womöglich die Ferne zur Romanvorlage gar nicht bemerkt und sich an zwei Stunden packender Mittelalteratmosphäre erfreut hätte, wird leider niemals festgestellt werden können. Der Film kam Mitte März 2020 in die deutschen Kinos, wenige Tage bevor sie geschlossen wurden.
Verloren in der Deutschstunde
Auch die Neu-Verfilmung des Nachkriegsliteraturklassikers Deutschstunde von Siegfried Lenz durch Christian Schwochow – mit den hochkarätigen Darstellern Ulrich Noethen als Dorfpolizist Jepsen und Tobias Moretti als expressionistischem Maler Nansen – legt bloß, wie fern die Vergangenheitsbewältigungsgeschichte aus dem Jahr 1968 uns heute geworden ist. Vielleicht hat sich Schwochow deshalb auch stark auf den Vater-Sohn-Konflikt konzentriert und weniger auf die Frage, wie weit man in einem Unrechtsregime wie dem der Nationalsozialisten mit der Pflichterfüllung gehen darf. Schwochow setzt dabei auf eindrucksvolle Bilder der kargen nordfriesischen Küstenlandschaft. In seinem Film ist es immer winterlich, graue Wolken jagen übers Wattenmeer, die Menschen wirken ganz verloren in der weiten Landschaft. In dieser Welt scheint der 2. Weltkrieg weit weg, er kommt nur durch einen Tieffliegerangriff und den desertierten Bruder von Siggi Jepsen (Levi Eisenblätter) vor. Schwochows Auseinandersetzung mit dem Stoff ist in seinen besten Momenten eine Familiengeschichte, der Kampf zweier Männer um die Seele und Loyalität eines Jungen. Es ist aber auch eine bedrückend hoffnungslose Charakterstudie über einen brutal-autoritären Vater, vergleichbar mit Michael Hanekes Das weiße Band.
Das Grauen hinter der Postkartenatmosphäre
Wie anders dagegen Caroline Links luftig-leichthändige Verfilmung des Kinderbuchklassikers Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. Judith Kerrs Kinderbuch-Weltbestseller aus dem Jahr 1971 behandelt ebenfalls das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte. Aber der Schrecken bleibt ausgespart, er wird lediglich angedeutet. Natürlich geht es in dem autobiografischen Buch um Flucht und Emigration, es geht um die Todesdrohung der Nationalsozialisten gegen die prominente jüdische Familie. Buch und Film erzählen die Flucht der Familie in die Schweiz, dann nach Paris und schließlich nach London. Caroline Link gelingt es, eine nahezu heile Postkartenwelt zu zeigen und gleichzeitig zu vermitteln, dass dies nicht die Realität ist. Ihre Schweiz ist ebenso himmelblau und herzig wie Paris romantisch mondän, wo die Lampen des Eiffelturms selbst in die ärmliche Mansarde der Familie leuchten. Das ist die Welt des behüteten, von der Liebe und der Weitsicht der Eltern vor Schlimmerem bewahrten Mädchens und ihres älteren Bruders. Caroline Link hat Anna mit der Berliner Nachwuchsschauspielerin Riva Krymalowski besetzt, die dieselbe Grundschule besucht wie Judith Kerr in den dreißiger Jahren. Die frische, lebensfrohe Natürlichkeit dieser jungen Darstellerin prägt den ganzen Film und ist besonders für Kinder eine authentische Identifikationsfigur. Das Grauen zu zeigen, darf Link sich gemäß der Kinderbuchvorlage sparen, aber es ist immer da, und man weiß ja, wie es für jene endete, denen die Flucht nicht gelang.